Sonntag, 18. Juli 2010

Oh Gott, mach es aus!! Teil 1: Justin Bieber

Es ist immer relativ schwierig, einen roten Faden zu finden, der sich durch einen Text, ein Musikstück oder irgendein anderes längeres oder kürzeres Erzeugnis zieht. Man kann allerdings auch einfach versuchen, irgendetwas beliebiges zu nehmen, das sich dann auf wundersame Weise perfekt in den Kontext einpasst. Habe ich jetzt mal vor. Momentan höre ich Ralph Vaughan Williams' orchestrale Fantasie auf der Melodie von „Greensleeves“, einem alten englischen Volkslied, welches einer Legende nach sogar von König Heinrich dem Achten selbst geschrieben worden ist, wenn er nicht nebenbei noch eine Frau köpfen oder eine Kirche gründen musste. Er war eben ein hoffnungsloser Romantiker. Wie dem auch sei, die Melodie von „Greensleeves“ würde vermutlich jedem ein „Ah“ entlocken, da sie mehr oder weniger von fast jedem bekannteren „Künstler“ aufgegriffen und interpretiert (bzw. verschandelt) wurde, wobei die von mir weiter oben beschriebene Orchesterfantasie Williams' wohl die beste Version überhaupt ist, unbedingt anhören.

Nach dieser kurzen Geschichtsstunde, inklusive einem äußerst hervorragendem Musiktipp, komme ich nun zu meinem eigentlichen Thema, in das ich Greensleeves einnähen werde.

Die Jahre 2000-2009 waren eine ziemlich aufschlussreiche Zeit, was Popkultur anging. Das Internet wurde zu einem vom Alltag untrennbaren Phänomen und ein neues ökologisches (Un)Bewusstsein wurde durch den absolut ehrlichen, überhaupt nicht manipulativ-emotional gefärbten Dokumentarfilm von Al Gore geweckt. Eine aufregende Zeit also, auch was die Maschinerie des Plastikpop angeht. Diese bediente sich nämlich bei diversen Internetportalen, um junge, von schönen Illusionen träumende Sänger und Sängerinnen für ihre Plattenfirmen zu verpflichten. Manch einer dachte schon, die Musiker auf den Plattformen seien Rebellen, die aus Spaß ihre Musik ins Internet stellen, um so den rücksichtslosen Managern der Popindustrie den virtuellen Mittelfinger angesichts ihrer ungekünstelten und ehrlichen Art zu zeigen. Naja, wahrscheinlich wirkt man auf den Pressefotos mit nach oben getackerten Mundwinkeln doch natürlicher als per Webcam im Schlafzimmer aufgenommen. Wer weiß.

Der oben beschriebene Rekrutierungsvorgang hat jedoch einen jungen Interpreten ans Tageslicht befördert, der nun seit rund einem Jahr in den prä- und postpubertären Träumen kleiner Mädchen und Südstaatenpfarrer zugleich herumirrt. Es handelt sich dabei um Justin Bieber, der mit einigen putzig androgynen Auftritten auf Youtube den Weg an die Spitze der Verkaufscharts gefunden hat. Bereits die Titel seiner Alben sind vermutlich eine Vorahnung auf die Redundanz, die mich beim Hören der Scheibe erwarten wird. „My World“ und „My World 2.0“. Wie kreativ, man wäre beinahe geneigt, zu mutmaßen, wie wohl das dritte Album heißen wird. Da ich jedoch ein ganz harter Hund bin, werde ich nicht etwa eines dieser Alben bewerten, keineswegs. Ich werde das Doppelalbum bewerten, das wie heißt? „My WorldS“. Als passionierter Hobbymathematiker bin ich mir im Klaren darüber, dass es jetzt vielleicht zu früh ist, allerdings glaube ich, ein Muster entdeckt zu haben. Endlich weiß ich, nach welchen Prinzipien die Figuren in meinem Teppich gewebt wurden. Justin Biebers Albentitel überraschen mich allerdings immer noch. Bevor es losgeht, lieber noch eine Runde Vaughan Williams, um den Schmerz zu lindern.

Der erste Song auf dem Album heißt „One Time“. Ich habe scherzhafterweise „Ja, wahrscheinlich ein mal zu viel“ gesagt, bevor ich ihn überhaupt gehört habe. Witzigerweise verließ dieser Gedanke auch nach dem Hören nicht wirklich meinen Kopf. Justin Bieber singt, aufgeregt wie ein 8 Jähriger nach zu vielen Gummibären, über seine große liebe, während er von einem Beat begleitet wird, der synthetischer ist als eine 5 Minuten Terrine. Es ging bei Greensleeves übrigens auch um die Liebe. Lady Greensleeves bricht das Herz des Autors. Sicherlich findet sich auch hier etwas ähnliches.

Im nächsten Song versichert mir Justin Bieber erneut, dass ich sein „number one girl“ bin. Danke dafür. Ich bin zwar männlich, allerdings nehme ich Komplimente jelicher Art gerne entgegen. Das Kompliment wird allerdings dadurch zunichte gemacht, dass mich Justin vermutlich für ein wenig einfältig hält, so oft, wie er doch den vorherigen Satz im Song benutzt hat. Bestimmt ist das aber nur eine Fehlinterpretation meinerseits. Schließlich findet er mich so süß und ist so putzig, hihi.

Der dritte Track namens „bigger“ handelt von Justins Reifeprozess. „Believe me like a fairytale“ heißt es gleich am Anfang. Tu ich bereits. Weiterhin betont er „we aint on the playground no more baby!“, eine ziemlich wichtige Erinnerung. Wobei sie eigentlich doch unnötig ist, wer würde denn bei einem Interpreten wie Justin Bieber an einen Sandkastenkasanova denken?

Track 4 nennt sich „one less lonely girl“. Es geht in diesem Song darum, dass Justin erneut beteuert, dass er ein extrem toller Freund ist, der sich immer Zeit nimmt und jedes Mädchen so, wie es ist. Herzzerreißend. Dabei klingt er überhaupt nicht suggestiv, wenn er „if you let me inside your world, there would be one less lonely girl“ singt. Wahrscheinlich ist es nur mein dreckiges Hirn, das etwas in diese unschuldigen Zeilen hineininterpretiert. Dass ein Mädel die Zeile „I saw so many pretty faces before I saw you“ womöglich auch in den falschen Hals bekommen könnte, hat Justin wahrscheinlich nicht durchdacht. Ach, er macht das mit seiner zuckersüßen Ausstrahlung wieder wett. Dieser ist es auch zu verdanken, dass die energisch gesungene Zeile „I'm coming for you!“ im Chorus nicht gruselig wirkt.

Glitschiger als Vaseline ist Song Nummer 5. Irgendwie ging das Zeug ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus, ohne auch nur ein einziges mal irgendwo anzustoßen. Es geht wohl darin, dass Mr. Charming mit einem Mädel auf seinem Abschlussball tanzen will. Natürlich ganz romantisch und so. Witzig macht diese Vorstellung, dass Justin Bieber in der wirklichen Welt nie auf der Schule war, sondern von seinen Eltern Homeschooling erfuhr. Da die meisten Fans seinerseits aber wahrscheinlich nur ungern eine Abschlussfeier in der eigenen Garage feiern möchten, musste man eben ein bisschen flexibler mit den Themen umgehen. Das einzige, das mir von dieser auditiven Amnesie im Kopf blieb ist „no teachers around us to see us dancing close, I'm telling you our parents will never know“. Ein paar Verse davor betonte er, dass es für das Girl „the evening of your life“ wird. Jeder kann sich jetzt seinen Teil denken. Ihr Drecksäcke.

Ein „Cover“ von „Lovefool“ der Cardigans erwartet einen, wenn man es bis zum sechsten Track geschafft hat. Justin Bieber schafft es in diesem Song überraschenderweise, femininer zu klingen als Nina Persson im Original. Daumen hoch dafür. Ich habe das Wort Cover in Anführungszeichen gesetzt, weil Mr. Charming nur die Melodie und den Chorus ein wenig übernommen hat. Außerdem enthält der Track eine der schönsten Kombinationen von Verblendung und Hedonismus, die ich je gehört habe. „Baby you can do no wrong, my money is yours“, zauberhaft. Ich glaube, Heather Mills hat einen neuen Lieblingssong.

„Common Denominator“. Cool, endlich was mit Mathe! Justin benutzt allerdings nur zwei spärliche Metaphern, wobei sein Schätzchen in einer sogar für dumm verkauft wird. „I don't wanna go back to being one half of the equation, do you know what I'm saying?“. Charmant. Dass Justin seine große Liebe oftmals unterschätzt scheint ein sich wiederholendes Motiv auf dem Album zu sein. Ich möchte außerdem noch die putzigen gebrochenen Akkördchen erwähnen, die das Piano neben einem unpassenden Synthie spielt. Wie oft habe ich schon „putzig“ geschrieben?

„Baby“ ist wieder Gleitmittel für die Ohren. In meinem Kopf ist nur „I will buy you anything, I will buy you any ring“ hängen geblieben. Wow, Justin, du hast absolut Begriffen, wie wichtig Hedonismus ist. Aristippos würde dir jetzt auf die Schulter klopfen. In Greensleeves hieß es noch, dass sich die Geliebte nichts irdisches wünschen könnte, da dies nie ein Wesen wie sie beglücken könnte. Naja, so ändern sich die Zeiten.

„For you I'd write a symphony!“ tönt es gleich danach am Anfang des Liedes „somebody to love“. Gewagte Behauptung für jemanden, der in seinen Songs nicht wirklich richtige Themen hat, die man musikalisch Verarbeiten könnte. Naja, lassen wir das mal. Wichtiger ist die Feststellung „money can't buy me somebody to love“. Paul McCartney ist immer eine gute Referenzquelle, auch wenn man mit seinen Ideen in einer Position steht, die vollkommen konträr zu den Lyrics davor ist. Egal, merken die Fans eh nicht.

Im elften Track ist Justin „stuck in the moment“ und vergleicht sich und seine liebste mit einigen Paaren wie Romeo und Julia und Bonny und Clyde. Wenn ich eine Mädchen wäre, würde ich mir bei diesen Vergleichen Sorgen machen. Naja, ihr wisst schon...

Jetzt reicht es mir mit genauen Analysen, deswegen fasse ich mal in Zeitraffer zusammen, was auf dem Rest des Albums geschieht: „I won't ever hesitate to give you more“-“with you there's no in between, I'm all in“-“she says she needs a little company, even if she's not always with me“-ein Featuretrack, bei dem man Justin Bieber schwer von seinem weiblichen Duettpartner unterscheiden kann-“eenie meenie miny mo“-unendlich unspektakuläre Textzeilen, die sich nahtlos anfügen lassen.

Sicherlich denkt sich jetzt der ein oder andere: „Ist es nicht unfair, ein Popalbum, das an Teenager gerichtet ist, von einem grimmigen Klassikliebhaber bewerten zu lassen?“. Da könntet ihr vielleicht Recht haben, allerdings geht es hier im Grunde um viel mehr als nur um eine Musikbewertung. Es geht hier um einen Einblick in den Zeitgeist unserer weiblichen Teenager, so wie eben Greensleeves einen Einblick in das Liebesleben im England des 14ten Jahrhunderts gibt. Während im dieser Zeit die meisten Liebeslieder davon handelten, seine Geliebte so sehr zu schätzen, dass man sich selbst als ihr gegenüber unwürdig betrachtet, so tut Justin Bieber das genaue Gegenteil und klopft sich im Grunde auf seine eigene Schulter, weil der gute so ein mitfühlender Freund ist, den das „number one girl“ sich lieber krallen sollte, bevor es jemand anderes tut.

Ob die Dame mit den grünen Ärmeln nun das Herz Heinrichs des Achten gebrochen hat oder nicht, spielt keine Rolle. Fakt ist, dass es Justin Bieber bei mir nicht wirklich geschafft hat. Die Musik ist redundant, die Songtexte sind noch redundanter, die Musik ist redundant und außerdem wiederholt sich immer alles. Das ist einfach absolut furchtbar und meiner Meinung nach kann man auch 14 Jährigen etwas besseres bieten als das. Also, wenn ihr Kinder habt- bloß nichts von Justin Bieber kaufen! Kauft dem Kind lieber eine Blockflöte und bringt ihm bei, auf ihr Greensleeves zu spielen.


Auf Wiedersehen.

2 Kommentare:

  1. Bin ein wenig entsetzt wie du sämtliche weibliche Jugend in dieselbe Schublade steckst, das müsste nun wirklich nicht sein, denn offensichtlich bin ich einer der Beweise dafür, dass sich nicht jedE - wir kommen ja laut deinem Post angesichts der Zielgruppe vollkommen mit nur einem grammatikalischen Geschlecht klar - diese Beleidgungen fürs Ohr tagein tagaus reinzieht, und ich bezweifle stark, dass ich die einzige "Ausnahme" bin, keine Angst. Aber ansonsten: Endlich mal jemand, der dieses verwöhnte Balg ordentlich durch den Kakao zieht! :)

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  2. Großartig deine Rezension, es hat mich gut unterhalten. Ich frage mich wie intensiv du diese wunderbaren World´s gehört haben musst. Ich halte kaum ein Lied durch.

    Ich würde von dir mal gerne eine Rezension von "The Suburbs" (The Arcade Fire) lesen.

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