Montag, 9. August 2010

Musikalische Folter Teil 2- Michael Wendler "Jackpot"

Während ich ein riesiger Verehrer Frederic Chopins bin und ihn für den größten Komponisten aller Zeiten halte, mag meine Freundin Johann Sebastian Bach ein kleines Stück mehr. Allerdings kommen wir auf einen Nenner, wenn es um die Stücke geht, die wir am liebsten selbst spielen. Felix Mendelssohns „Lieder ohne Worte“, insbesondere die Nr. 1 daraus. Wagners antisemitische Hetze gegen Mendelssohn löst sich in Nebel auf, wenn man seine sanften Melodien und lyrischen Verstrickungen hört, die Chopin und Field selbst vermutlich nicht besser hinbekommen hätten.
Der ein oder andere denkt sich jetzt „warum referiert dieser Penner hier über romantische Musik, wenn er doch im Titel etwas anderes versprochen hat?“ Ganz einfach, während uns Mendelssohn Lieder ohne Worte versprochen und geliefert hat, erwarte ich bei dieser Platte eher „Worte ohne Lieder“. Vermutlich bin ich aber nur mal wieder zu negativ. Allerdings habe ich vollstes Recht dazu, schließlich habe ich mir ein Doppelalbum von Justin Bieber angehört.
Heute höre ich mir allerdings „Jackpot“ von Michael Wendler an. Gleich das Coverfoto verspricht einen Heidenspaß. Wendler posiert darauf mit entblößter Brust so verkrampft, dass man glatt das Gefühl bekommt, er habe einen Schlaganfall bekommen als es geschossen wurde. Wahrscheinlich ist es nur ein Symbol für die quälende Produktionsarbeit, die er in dieses vermutlich fantastische Album hineingesteckt hat. Es fängt bereits hervorragend an. Jemand sagte mal „Du weißt, dass du ein gutes Stück geschrieben hast, wenn deine Musik sofort vertraut wirkt, obwohl sie neu ist“. Naja, vertraut wirken die furchtbaren, synthetischen Kicks, die hochgepitchten Synthies, die nervigen Claps bei jeder 2 und 4 und die Standardbegleitung schon, allerdings nicht im positiven Sinne. Eher im Sinne von „hab das schon so oft gehört, dass ich einen Wutanfall kriege, wenn es schon wieder auftaucht“. Ok, zugegebenermaßen, das ist ja bei Schlager immer so. Immerhin rettet der Text von „Piloten wie wir“ hier einiges. Also, mal ganz ehrlich, ich habe Kafka gelesen und verstanden, auch Finnegans Wake von Joyce und Kurt Vonneguts Reise in sein eigenes Buch in „Breakfast of Champions“ konnten mich nicht zu sehr verwirren, obwohl sie es beinahe geschafft hätten. Michael Wendler hingegen hat es geschafft. Allerdings war es keine gelungene, künstlerische Verwirrung. Ich fasse mal zusammen, was im Song passiert: Michael Wendler sitzt mit Geldsorgen an einer Bar und hat Angst, jemanden(mich) zu verlieren-Wendler singt vom Leben eines Piloten, der hoch aufsteigt und dann abstürzt-ein anderer, total kaputter Typ kommt in die Bar und sagt, dass es Michael bestimmt wie ihm geht-Pilotenleben. Was?? Ich übertreibe nicht, Wendler führt überhaupt nicht zu den Metaphern hin, die er benutzt. Alles kommt mir irgendwie vor, wie ein riesiges, nonlineares Wirrwarr ohne Kohärenz. Den Käse danach gut raspeln und Olivenöl ins Wasser geben.
Track Nummer zwei will mich über Michaels Erlebnisse „Freitag Nacht“ informieren. Hat sich irgendwas an der musikalischen Begleitung geändert? Natürlich nicht, der Beat ist so ziemlich der gleiche. Man hat nur eine langweilige synthetische E-Gitarre hinzugefügt, die sich in der langweiligsten Art überhaupt einsetzt. Ich bekomme außerdem das Gefühl, dass Michael an Echolalie leidet. Beim Chorus wird jedes mal jedes Zeilenende leise wiederholt(leise wiederholt). Das erklärt vermutlich auch das Coverfoto. Es war gar kein Schlaganfall, er wollte vermutlich nur die körperlichen Ticks seines latenten Tourette-Syndroms ein wenig unter Kontrolle bringen, allerdings hat das die sprachlichen vermutlich nur noch verstärkt. Wie dem auch sei, diesmal hat der Song tatsächlich eine nachvollziehbare Handlung. Michael trifft Freitag Nacht eine Frau, die ihn seltsamerweise nach dem ersten Treffen „Hase“ nennt und fabuliert darüber, wie geil die Zeit mit ihr ist. Soweit nichts neues. Sonah auch nicht. Das Song ist absolut lahm. Immerhin erinnert er mich an die Zeiten als ich ein ganz kleiner Steppke war. „The princess is in another castle“. Leider hat Michaels „Prinzessin“ es Peach nicht nachgemacht und ihn zu diesem Lied inspiriert. Mich darfst du nicht Hase nennen, Lady.
Ankündigung: ich werde die Instrumentals nur noch kommentieren, falls irgendetwas neues kommt. Also lest ihr womöglich nie mehr in diesem Artikel etwas darüber. Ich bin eben kein Optimist. Wo ich vorher aber Kafka erwähnt habe: sein Brief an seinen Vater offenbart eine Welt, die wir alle in gewisser Weise kennen. Der Konflikt mit den Eltern, in Kafkas Fall der eines fragilen Intellektuellen und eines rüstigen alten Herren. Schwerer Stoff. Allerdings versteht man Kafkas Geschichten sehr viel besser, wenn man sich seine Korrespondenzen durchliest. Mal sehen, was der Brief von Michael aussagt. Urplötzlich ergibt sich ein roter Faden! Mendelssohns Lieder blieben unausgesprochen, so wie auch Kafkas Brief von seinem Vater nie gelesen wurde. Auch Michaels Brief ist leider niemals abgeschickt worden. In diesem Brief schrieb er, weshalb er seine damalige Freundin verlassen musste. Allerdings spielt er mit den Gedanken, sie wieder zu besuchen und fährt durch die ehemaligen Vororte seiner Erinnerung. Wobei ich mir dieses Treffen doch gewünscht hätte. Nicht, weil ich romantisch daran denke, dass sich die zwei alten liebenden wiederfinden, sondern weil ich ihren geschockten Gesichtsausdruck sehen will, wenn sie sieht, dass ihr damals geliebter Michael heute zu einem Schlagersänger geworden ist, der bei seinen Posen so aussieht als sei jede einzelne Muskelfaser seines Körpers in einen tiefen Schmerz getaucht. Oder sie sagt einfach nur: „Hey Michael, schön dich nach der Zeit mal zu sehen. Wenn du jetzt dein Hemd zuknöpfst, kannst du vielleicht auch mal rein.“
Wendler informiert uns nun darüber, dass er ein Spieler ist. Ich dachte zuerst an Backgammon, allerdings lag ich falsch. Michael spielt mit den Herzen der Frauen und schafft es dabei nicht, nicht wie ein verbitterter Stalker zu klingen. „Ein letztes mal schlag ich an deine Tür“. Na sicher. Ich habe eine Zahl für die Frau, die in diesem Song thematisiert wird. 238.
Neben seinen Tendenzen hinsichtlich Stalking fällt mir bei „Ich geh kaputt wie Glas“ auch auf, dass Wendlers Songtitel irgendwie ungelenk gewählt sind. Wäre „Wie Glas“ nicht passender? Naja, wahrscheinlich würden sich seine Fans „was wie Glas?“ denken, schließlich sind es bestimmt auch diejenigen, die mit „ja“ antworten, wenn man im Fastfood-Restaurant gefragt wird, ob man etwas zum hier essen oder mitnehmen will. „Ich weiß nicht, warum ich dich noch liebe, aber heimlich lauf ich euch hinterher, auf frischer Tat will ich euch ertappen, wenn das so einfach wär“. Die Frau, die in den Tracks hier angesprochen wird, sollte sich wirklich hüten. Scheinbar gilt es heute aber als romantisch, seiner geliebten paranoid hinterherzulaufen. Ein wesentlich besserer Titel wäre „Stasi-Love“. Klingt irgendwie cool.
In „Spiel, Satz und Sieg“ geht es darum, dass Michael mit seinen Kumpels eine Mitarbeiterin eines Casinos anbaggert. Im Refrain heißt es „Spiel, Satz und Sieg, sonst hab ich immer verloren“. Glaub mir, Micha, es ist heute nicht anders. Du versagst seit 6 Tracks auf ganzer Linie und ich habe die Hoffnung verloren, dass das Album jemals besser wird. Hoffentlich gefällst du der leicht mutierten Casinomitarbeiterin(„in deinen Augen sehe ich 3 mal die Sieben“), der du mal wieder deinen ganzen Charme präsentierst(„diese Nacht wird wegen dir sicherlich hart“). Ich glaube allerdings, dass auch dreiäugige Frauen ein wenig mehr Anspruch haben.
Sommerregen ist so langweilig, dass ich nicht mal einen witzigen Kommentar dazu finde. Höchstens, dass Michael ganz schön aggressiv dafür klingt, dass das hier eigentlich ein Liebeslied ist. „Doch am Ende zählt nur, wer noch steht, wer überlebt“ passt in dieser Form doch eher zu Manowar.
In Sandmann erfährt Michael von einer üblen Affäre seiner Frau und klingt dabei im Refrain wie ein Bauarbeiter. „Sandmann, wann schleppst du den Sand ran“. Hoffentlich bringt dieser Herr Sandmann einen ganzen Laster mit Sand mit, den er über Wendler auskippt. Ansonsten ist der Text wie immer, ein mit Offensichtlichkeiten(„Die Nachbarsfrau aus den Nachbarhaus“) und Affinität zum Stalking gefüllter Hilfeschrei eines Mannes, der dem Druck nicht standhält. Fragt sich nur, welchem.
Ich erwähne jetzt mal, wie bereits bei Justin Bieber, nur noch die Highlights der restlichen Tracks:
„Bei uns wachsen sogar Bäume“-“Attacke!“-“Du siehst so gut aus, wie ein Stück Sahnegebäck“, hüte dich Shakespeare, du hast einen Konkurrenten bekommen-“Warum komm ich mir vor, wie ein totaler Idiot“, weil du auf jedem Track das gleiche Drumsample benutzt?-“Diese Nacht schreit deinen Namen“, was zur Hölle? Das klingt fast wie der Titel eines Gedichtes von Gottfried Benn.
Die letzten zwei Songs sind Remixe zweier vorher gehörter Titel. Allerdings ist Remix ein bisschen weit gefasst, da sich bei ihnen, natürlich, die Drums und das Arrangement nicht wirklich ändern.
Nach so vielen verbrannten Hirnzellen wird es jetzt natürlich Zeit für ein Fazit. Mein Persönliches Fazit ist, dass mein Schmerz sicher gelindert werden kann, wenn ich jetzt mal ein bisschen Mendelssohn spiele und von der grauenhaften Untiefe des menschlichen Musikgeschmacks losgelöst und befreit bin. Allerdings kann nichts den Schmerz lindern, wenn man sich Michael Wendler anhört.
Ich betone nochmal, dass ich sicherlich nicht das Zielpublikum von Michael Wendler repräsentiere. Dafür habe ich vermutlich zu oft richtige Interpunktion und Orthographie verwendet. Wie dem auch sei, dieses Album ist absolut nicht empfehlenswert. Das ist sogar untertrieben, es toppt sogar Justin Bieber in Sachen Grausamkeit.
Kauft euch das Album nicht. Kauft Michael Wendlers Produzenten lieber eine CD mit neuen Drumloops.

Auf Wiedersehen.

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