Freitag, 16. Juli 2010

Minimalismus - oder die Kunst des Redundanten

Obwohl das hier mein erster Blogpost ist, verzichte ich einfach mal, mich vorzustellen. Ihr hättet sicherlich auch an meinen folgenden Beiträgen gemerkt, dass ich ein hoffnungsloser Romantiker bin, der gerne auf einem weißen Ross in den Sonnenuntergang reitet. Letzten Endes ist es auch gesünder, mich nicht zu kennen. Glaubt mir, die Kollegen von der CIA würden euch nur noch belästigen, wenn ihr mich kennen würdet. Wie dem auch sei, das ist nicht das Thema.

Das Thema des jetzigen Posts soll etwas wirklich sinnvolles sein, ausnahmsweise. Ich bin ein sehr großer Verehrer der Kunstmusik aller Epochen. Ihr wisst schon, die Typen mit Perücke und wirre Hippies, die mit Zucchinis auf Klaviertasten prügeln. Aber ist das wirklich die Essenz der Kunstmusik? Ist sie nur eine Ansammlung elitärer und prätentiöser Armleuchter mit aufgeblasenen Egos? Nun ja- ja! Zumindest teilweise. Und es ist dazu auch noch zu beachten, dass sich diese Zeitgenossen meist im Publikum befinden und nicht unter den Komponisten selbst. Es ist eben immer der gleiche Konflikt. Der eine findet Erdbeeren toll und der andere Himbeeren. Letztendlich kommt es doch darauf an, dass jede Seite mit ihrer eigenen ästhetischen Wahrnehmung zufrieden ist. Und ich finde Himbeeren zum Kotzen. Das zerstört aber nicht mein Argument! Wie dem auch sei, ich mache nun etwas ungewöhnliches und komme zum Thema des Postings. Den Minimalismus. Ich will euch nicht nur den Minimalismus vorstellen, für den Glass, Reich, Riley, Adams, Young und Pärt bekannt wurden, sondern etwas tiefer graben und nach minimalistischen Spuren suchen, die noch etwas weiter in die Vergangenheit führen. Es kann losgehen.

Das früheste Stück, das ich als einen Vorläufer des Minimalismus bezeichnen würde, stammt von jemandem, der die Ehre hatte, ein Stück seinerseits als Nationalhymne verwendet zu sehen. Da dieser Herr Österreicher ist, ist es klar, dass ich die Nationalhymne Deutschlands meine (wie freundlich die Österreicher immer sind, dass sie uns Hymnen schreiben). Josef Haydn ist unter vielen Hörern relativ unterschätzt. Man sagt ihm nach, ein kompletter Langweiler zu sein, dessen Melodien und musikalischen Ausarbeitungen zu symmetrisch und geradlinig sind. Das mag zwar in manchen Fällen stimmen, jedoch mag ich Haydn aufgrund einer persönlichen, subjektiven Wahrnehmung. Stücke von Haydn vermitteln mir immer den Ausdruck von Aufgeklärtheit und Scharfsinnigkeit, den ich sonst nur bei Bach finde. Beide Komponisten verstehen es perfekt, Stücke zu schreiben, die in einem gewissen Maße "perfekt" sind. So auch das Stück, auf das ich hinauswill. Es ist der erste Satz aus Haydns 22ter Sinfonie, mit dem schönen Beinamen "der Philosoph". http://www.youtube.com/watch?v=Zam5T0JPDmg Dieses Stück besticht durch eine verblüffende thematische Einfachheit und kann wie folgt interpretiert werden: der Philosoph Stellt träge eine Frage, erhält eine Antwort und stellt darauf hin eine weitere Frage etc. . Das Einsetzen der Streicher signalisiert eine Form von Erleuchtung und Entdeckung. Gleich darauf stellt der Philosoph andere Fragen, abgeändert durch die Klangfarbe des Orchesters. Man stellt im Nachhinein fest, dass dieses Stück doch mehr klassische Merkmale besitzt als das allgemeine Verständnis von minimaler Musik zulässt, jedoch trifft sich dieses Phänomen auch bei modernen Komponisten, wie beispielsweise John Adams.

Ein weiterer Schritt in die Zukunft offenbart uns ein Stück von Franz Liszt. Für gewöhnlich nimmt man Liszt anhand seiner Werke als einen Wahnsinnigen wahr, der sowohl Pianos als auch Pianisten zu tiefst hasst und mit gewaltigen Schwadronen von Noten zerstören will. Allerdings hat Liszt auch eine poetische, emotionale Seite, die sich manchmal offenbart. So beispielsweise im Stück "Nuages Gris" http://www.youtube.com/watch?v=6objDnNYGCQ Die meisten Gelehrten würden Liszt im Allgemeinen nicht als Vorgänger des Minimalismus betrachten, allerdings weist die Struktur dieses speziellen Stückes in diese Richtung. Liszt war auf sehr vielen Ebenen Pionier, allerdings meist nur für ein Stück. So hätte er beispielsweise als Entdecker der Dodekaphonie durchgehen können, 17 Jahre bevor Schönberg überhaupt geboren wurde. So wie sich hier eine Repetition des Themas findet, findet sich in seiner Faust-Sinfonie auch eine Zwölftonreihe, die durch geschickte Modulation trotzdem einen tonalen Bezug hat.

Über den Einfluss dieses Mannes auf die Bewegung an sich besteht allerdings kein Zweifel. Erik Satie. Ein durchgehend sarkastischer Kerl, der einst behauptet hatte, als alter Mann in einem jungen Körper auf die Welt gekommen zu sein. Insgesamt beeinflusste und entdeckte er mehr musikalische Verfahren als jeder andere Komponist vor oder nach ihm. So prägte der Klang seiner Frühwerke den Impressionismus und er verwendete Reihenprinzipien in seiner Komposition bevor Schönberg es tat. Sein Einfluss auf den Minimalismus lässt sich jedoch am besten an seinen Gnossiennes und Gymnopedies ablesen, beispielsweise http://www.youtube.com/watch?v=PLFVGwGQcB0 Dieses Stück besteht im Wesentlichen aus zwei Akkorden und schafft es dennoch, eine dicht gewebte, dunkle Atmosphäre hervorzurufen, die düsterer ist als die Zukunftsaussichten von Abgängern der Rütli-Schule.

Kommen wir nun aber zum Eingemachten, dem Minimalismus in seiner Lehrbuchdefinition. Als erstes konventionell minimalistisches Stück wird "In C" von Terry Riley angesehen. Das 1964 komponierte Stück ist in seiner Form sowohl minimalistisch als auch Teil der sog. "indeterminate music". Das heißt, gewissermaßen, dass jede Aufführung des Stückes ein völlig anderes Resultat hervorbringt. Das erreichte Riley durch folgende Technik: er komponierte über 50 kurze Phrasen, die die Musiker in der vorgegebenen Reihenfolge spielen sollen. Allerdings dürfen sie sich frei aussuchen, wie oft sie eine Phrase Wiederholen oder einen Takt aussetzen. Durch diese formalen Aspekte können beliebig viele Musiker an einer Aufführung partizipieren, beispielsweise hier in sehr beeindruckender Form http://www.youtube.com/watch?v=vJSEcoeCgus Weitere Empfehlungen meinerseits sind "a rainbow in curved air" und "the cusp of magic"

Terry Riley's "In C" hatte einen sehr großen Einfluss auf Steve Reich, welcher besonders von den Effekten beeindruckt war, die durch die wechselnden Segmente des Stückes entstanden. Im Gegensatz zu Riley war Reich jedoch strenger in seiner Form und komponierte die Stücke durch, um einen möglichst starken Eindruck auf den Hörer zu hinterlassen. Er nannte seine Form des Minimalismus "Process Music", da sie auf Akkorde gestützt ist, die in zyklischer Form während des Stückes auftreten und einen sehr hohen Grad an innerer Symmetrie aufweisen. http://www.youtube.com/watch?v=xU23LqQ6LY4 Reichs Spiel mit Klangfarben und kleinsten rhythmischen Verschiebungen sorgt oftmals für Effekte wie wahrgenommene Echos. Weitere Empfehlungen: gesamtes Oeuvre

Steve Reich hatte früh Kontakt zu einem anderen Amerikaner, der prägend für die minimale Musik werden sollte. Philip Glass. Glass' Technik ist innerhalb der Kunstmusik berüchtigt und wird oftmals kritisiert, da sehr viele Elemente in der stets gleichen Form in seinen Kompositionen vorhanden sind, beispielsweise Ostinati, schnelle Apreggios und meist simple, tonale Strukturen. Trotzdem hat sich Glass' Stil auch außerhalb der Kunstmusik durchgesetzt und wird beispielsweise von vielen Filmkomponisten kopiert. Wer heutzutage einen melancholischen Klavierpart in einem Soundtrack hört, wird sich mit sehr großer Sicherheit an Glass erinnert sehen. Ein gutes Beispiel für seinen Stil ist sein erstes Violinenkonzert http://www.youtube.com/watch?v=WB0wHIC0NS0 Die Schwierigkeit ergibt sich durch die Betonung der in Triolen gebrochenen Akkorde. Bei Glass findet sich eine gewisse Ähnlichkeit zu Haydn- wenn es langweilig gespielt wird, klingt es langweilig. Trotz aller kompositorischen Klasse. Empfehlungen: gesamtes Oeuvre

John Adams ist als Komponist schwerer einem bestimmten Stil einzuordnen und hat sich in den letzten Jahren ein wenig außerhalb des puren Minimalismus entwickelt. Seine Frühwerke sind allerdings richtungsweisend und haben einen stärkeren Bezug zur Musik seiner Zeitgenossen. So findet sich in seinen frühen Kompositionen meist eine gewisse Wahrnehmung von Schwerelosigkeit und Abgewandheit von der Welt, ein gewisses träumerisches Element. So beispielsweise in seinem frühen Klavierwerk "China Gates" http://www.youtube.com/watch?v=kY1PeH9fg5A Man erkennt hier gewisse Parallelen zu Glass und Reich durch die stetige, langsame Entwicklung des Stückes. Empfehlungen: gesamtes Frühwerk, allerdings auch seine Musik ab 95, obwohl sie nicht rein minimalistisch ist

Zum Schluss nun einen europäischen Vertreter. Arvo Pärt. Pärt startete Seine kompositorische Karriere in der UDSSR, was so ziemlich hieß, dass man moderne Einflüsse vergessen konnte, wenn man nicht gerade Shostakovich war. Seine Frühwerke haben eine extreme Brutalität und Kraft, die selbst Schönberg in den Schatten stellen. Anfang der 70er Jahre besann sich Pärt jedoch darauf, Musik zu schreiben, die der Seele auf eine Positive Weise schmeichelt. Er entwickelte den sog. Tintinnabuli- bzw. Glocken-Stil, bei dem sich die einzelnen Stimmen in tonaler Färbung um einen Zentralton drehen. So erhält man Musik, die interessant und abwechslungsreich trotz Widerholungen ist. http://www.youtube.com/watch?v=v0uYpYHOYB8 Tabula Rasa ist ein Duett zweier Violinen mit einem Streichorchester und einem präparierten Piano, das glockenähnliche Laute einwirft. Empfehlungen: Alles ab den 70ern, Frühwerke nur anhören, wenn man auch Schönberg bzw. dissonante Musik generell mag

So, das war es jetzt zunächst mal. Ich habe euch aus dem tiefen Tal der musikalischen Unwissenheit herausgeführt und euren Horizont erweitert (seid froh, dass es vorerst nur der Horizont ist). Aber denkt immer an folgendes: Egal, wie gut euer Musikgeschmack ist- ihr werdet trotzdem nie so cool sein wie ich. Nie.

Auf Wiedersehen.

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